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als indirekten Vorwurf gegen sich.   er nur von seiner Oma kennt, als    • Fallvignette: Claudia ist Pfarrers-
        Schon gegen indirekte Vorwürfe       anstrengend und bedrückend er-      tochter und erlebt Gebet zu Hau-
        seines  Vaters  konnte  er  sich  nie   lebt.                            se und in der Gemeinde entweder
        erfolgreich wehren. Deshalb hat                                          in vorformulierten Gebeten oder
        er es als Befreiung erlebt, hier frei   Variante: Strohfeuer             in ausgewählter, sehr von der
        seine Zweifel und abweichenden       Auf Kongressen oder in Gottes-      Alltagssprache   unterschiedener
        Meinungen  äußern  zu  können.       diensten erlebe ich intensive Ge-   Form. Sie hört zwar in der Bibel
        Er hält sich nun zurück aus un-      betszeiten, begeisternden Lob-      von  Gott  als  Vater,  Bruder  und
        terschwelliger Angst, die Gunst      preis, tolle Erhörungszeugnisse     Freund, aber die Sprache, in der
        und Zugehörigkeit verlieren zu       und auch eigene beeindruckende      die Leute mit Gott reden, passt
        können. Laut betet er nur noch       Gebetserhörungen.                   dazu nicht. Aufgrund dieser ge-
        das,  von  dem  er  erwartet,  dass   Im Laufe der Zeit kommen aber      fühlten Unstimmigkeit spielt Ge-
        niemand Anstoß daran nehmen          auch ernüchternde Erfahrungen       bet in ihrem Leben keine Rolle.
        wird. Da er fürchtet, auch Gott      dazu  und  Enttäuschungen,  die     Als sie eine Freundin spontan und
        könne ihn als rebellisch beurtei-    ich nicht konstruktiv in meine      alltäglich mit Gott reden hört, ist
        len, wird er auch im stillen Gebet   Glaubenswelt einbauen kann.         sie erst befremdet, dann beginnt
        Gott gegenüber vorsichtiger und      Leute die ich danach frage, haben   allmählich ein Freisetzungsprozess
        „fromm angepasster“. Beten wird      keine überzeugenden Antworten.      in ihren Begegnungen mit Gott.
        zunehmend zur anstrengenden          Die  einseitige Welt  eines Wohl-
        Pflicht.                             fühlevangeliums bröckelt.           Variante: Nichterhört
                                                                                 Nichterhörte Gebete sind immer
        Variante:  Viel  Seufzen,  we-       • Fallvignette: Karin besucht ei-   eine Herausforderung für meine
        nig erleben und erwarten             nen charismatischen Kongress        Gottesbeziehung und mein Ge-
        In Familie, Gemeinde, Hauskreis      nach dem anderen, ist begeistert,   betsleben.  Wenn durch Dran-
        oder … erlebe ich immer wieder       findet aber keine Stabilität in ih-  bleiben, gute Gespräche mit Ge-
        Gebete, die Gott das persönliche     rem „Beziehungschaos“, wie sie es   schwistern und Erkenntnissen aus
        Leid und/oder die Leiden der         nennt (viele kurze wieder zerbre-   der Bibel mein Verständnis eines
        Welt klagen, vielleicht auch all-    chende Partnerschaften). Sie hat    Gottes, der nah und fern, berühr-
        gemein die große Sündhaftigkeit      oft  Kopfschmerzen,  erlebt  wie-   bar und unbegreiflich, vertraut
        und das evtl. recht ausführlich.     derholt plötzliche Heilung, doch    und fremd ist (und sein muss),
        Fröhliches, dankbares und zuver-     die Kopfschmerzen kommen im-        wächst, reift auch mein Gebetsle-
        sichtliches Gebet kommt zu kurz      mer wieder. Allmählich verliert sie   ben heran.
        oder nur in einer ritualisierten gar   die Motivation zu beten und ihr   Wenn ich nur zu kurz greifende,
        nicht froh klingenden Form vor.      Glaube flacht ab, sie erwartet im-  vereinfachende, mich alleinlassen-
                                             mer weniger von Gott.               de „Antworten“ finde, wird mein
        • Fallvignette: Holger wächst mit                                        Draht zu Gott immer dünner,
        Eltern auf, in deren Leben Glaube    Variante: Viele wohlgesetzte        mein Gebetsleben verarmt oder
        keine Rolle spielt und die viel ar-  Worte                               stirbt sogar ab.
        beiten. Seine Oma kümmert sich        Ich erlebe Gebete nur als wohlge-
        um ihn. Sie ist fromm und betet      setzte, gut formulierte Sätze. Alles   • Fallvignette: Norbert bittet Gott
        oft, drückt dabei stark ihre Ängste   Spontane, Ungeplante, Emotio-      immer wieder um die richtige
        und Sorgen vor Gott aus und bit-     nale bleibt außen vor. Also lerne   Partnerin. Mehrere Beziehungen
        tet ihn immer wieder um Verge-       ich auch so zu beten und denke      scheitern  in  frühem  Stadium,
        bung für ihre Unzulänglichkeiten.    sogar in meinem persönlichen        während Norbert bei anderen
        Holger liebt seine Oma sehr, kann    Gebetsleben, dass Beten ebenso      sieht, „wie es klappt“. Er wird
        aber mit Gott wenig anfangen,        geht.                               verbittert und neidisch und ver-
        weil er das „Reden mit IHM“, das                                         steift sich immer mehr auf diese



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